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Wie wird man Weltmeister? - Fuball 11FREUNDE

11 Freunde:
Herr Vogts, wie wird man Fuß­ball­welt­meister?

Berti Vogts:
Mit einem Team aus selbst­be­wussten und erfah­renen Spie­lern, die mit dem Druck eines WM-Tur­nier klar kommen. So wie wir 1974.

11 Freunde:
Wir erin­nern uns: 7. Juli 1974, Tag des WM-Finals. Sie laufen ins Münchner Olym­pia­sta­dion ein, neben Ihnen die Hol­länder mit Ihrem Gegen­spieler Johan Cruyff. Was geht Ihnen durch den Kopf?

Vogts:
Nichts anderes als bei anderen Spielen auch, die ich gewinnen wollte.

11 Freunde:
Aber Ihnen war doch bewusst, dass es das wich­tigste Spiel Ihrer Kar­riere wird.

Vogts:
Sicher, aber wir hatten nach einer mise­ra­blen Vor­runde, eine sehr gute Zwi­schen­runde gespielt. Und nun war klar: Wir werden Welt­meister.

11 Freunde:
Nach 120 Sekunden liegen Sie 0:1 gegen Hol­land zurück. Spä­tes­tens da müssen Ihnen doch Zweifel gekommen sein?

Vogts:
Nein. Wir wussten, die packen wir. Selbst als ich nach drei Minuten Gelb sehe – und wusste, dass ich nun 87 Minuten gegen Cruyff mit der Belas­tung spiele – bin ich cool geblieben. Mir war klar, der Schieds­richter schmeißt mich im eigenen Sta­dion nicht vom Platz. Diese Erfah­rung fehlt dem Team von Jürgen Klins­mann: Gut mög­lich, dass ein Spieler Pro­bleme kriegt, der im Eröff­nungs­spiel nach drei Minuten ver­warnt wird.

11 Freunde:
Was unter­scheidet das Team von 1974 von der heu­tigen Mann­schaft sonst noch?

Vogts:
Wir waren ein ver­schwo­rene Erfolgs­ge­mein­schaft, die wusste: Man lyncht uns, wenn wir Zweiter werden. Also sind wir mit dem Bewusst­sein ins Tur­nier, dass nur der Titel zählt. Und so kühl sind wir das Unter­nehmen ange­gangen: Selbst die Kritik nach der Nie­der­lage gegen die DDR ging uns weit­ge­hend sonst wo vorbei.

11 Freunde:
Wieso waren Sie so sicher? Die Hol­länder waren spie­le­risch besser als das deut­sche Team.

Vogts:
Mit Borussia Mön­chen­glad­bach machten wir damals öfter Freund­schafts­spiele gegen die hol­län­di­sche Mann­schaft. Des­halb war mir klar: So schön sie auch spielen, die hauen wir weg.

11 Freunde:

Kannten Sie die Taktik der Hol­länder?

Vogts:
Sie ver­suchten, unsere Mann­de­cker durch Posi­ti­ons­wechsel im Sturm aus dem Abwehr­zen­trum her­aus­zu­ziehen, um Franz Becken­bauer als Libero in 1:1‑Situationen zu ver­wi­ckeln. Rainer Bonhof stand gegen Johan Nees­kens und musste zen­tral dicht machen. Schwar­zen­beck hatte es mit Rob Ren­sen­brink zu tun, der ein echter Links­außen war. Ich musste dau­ernd rufen, Kat­sche komm rein“, damit Franz nicht allein stand.

11 Freunde:
Wie hat sich Cruyff Ihnen gegen­über ver­halten?

Vogts:
Er hat in einer Tour gequatscht, um mich abzu­lenken. Er spricht gut deutsch und wir kannten uns gut, da wir beide von Puma gespon­sert wurden.

11 Freunde:
Wie haben Sie reagiert?

Vogts:
Wenn er anfing zu reden, habe ich gesagt: Komm, Johan, halt ein­fach die Schnauze.“ Nach dem Finale hat er dann ein Jahr nicht mehr mit mir geredet. (lacht.)

11 Freunde:
War Cruyff so arro­gant, wie oft behauptet wird?

Vogts:
Nein, dafür kannten wir uns zu gut. Aber die Hol­länder haben nach der Füh­rung bei jedem Ball­kon­takt ver­sucht, zu zeigen, wie stark sie tech­nisch waren. Sie ver­suchten, unsere Spieler zu tun­neln oder am Stand­bein vorbei zu spielen. Da ich vom Nie­der­rhein komme, ver­stehe ich hol­län­disch und hörte, wie sie sich lustig machten.

11 Freunde:
Stimmt es, dass Franz Becken­bauer Helmut Schön über­redet hat, Sie als Cruyffs Mann­de­cker ein­zu­teilen?

Vogts:
Nein. Das habe ich in Absprache mit Helmut Schön gemacht. Es gab nur ein Pro­blem: Im Trai­nings­spiel vorm Finale spielte Günter Netzer die Rolle von Cruyff. Durch Gün­ters große Über­set­zung fiel es ihm schwer, Cruyff zu imi­tieren. Ein Desaster. Auf­grund dieses Trai­nings ord­nete Schön aber an, dass ich Cruyff im Finale erst rund 30 Meter vorm Tor in Mann­de­ckung nehmen sollte.

11 Freunde:

Was haben Sie darauf gesagt?

Vogts:
Mir war klar, dass es ein fataler Fehler ist. Wenn Johan in Ball­be­sitz war, konnte ihn keiner stoppen. Seine Geschwin­dig­keit war zu hoch.
11 Freunde: Ist Schön darauf ein­ge­gangen?

Vogts:
Nein. Er hat es trotz meines Ein­spruchs bis zum Spiel durch­ge­boxt. Ich war sauer. Und nach 120 Sekunden wusste Schön, dass es eine fal­sche Ent­schei­dung war. Uli Hoeneß konnte ihn nur mit einem Foul stoppen.

11 Freunde:
Die Folge: Elf­meter von Johan Nees­kens. 1:0 für Hol­land.

Vogts:
Nach 10 Minuten bin ich an den Spiel­feld­rand und habe Schön zuge­rufen, dass ich jetzt so spielen würde, wie ich es für richtig hielt. Er hat nur resi­gnie­rend die Hände vors Gesicht geschlagen und akzep­tiert (lacht.).

11 Freunde:
Es stimmt also nicht, dass Helmut Schön nach der Nie­der­lage gegen die DDR nichts mehr zu sagen hatte und das Team sich mehr oder weniger selbst auf­stellte.

Vogts:
Diese Geschichte ist eine Erfin­dung der Jour­na­listen – und eine Unver­schämt­heit. Das Mär­chen, Franz Becken­bauer habe in Malente auf den Tisch gehauen, ist Blöd­sinn. Wo wir da gehaust haben, gab es gar keinen Tisch. (lacht.)

11 Freunde:
Sie haben immer gemacht, was Schön gesagt hat?

Vogts:
Wir haben uns nur einmal über seine Anord­nungen hinweg gesetzt: Nach der Nie­der­lage gegen die DDR hat er uns um 3 Uhr mor­gens auf­ge­for­dert, ins Bett zu gehen. Zu dem Zeit­punkt waren wir nicht mehr in der Lage zu gehen, so dass noch einige Fla­schen gegen die zuschla­gende Tür knallten.

11 Freunde:
Wie konnten Sie sich als Höchst­leis­tungs­sportler erlauben, mitten im WM-Tur­nier derart zu zechen?

Vogts:
Es musste sein. Wir waren stock­sauer, dass wir gegen die Ossis ver­loren hatten.

11 Freunde:
Wie konnte diese Nie­der­lage pas­sieren?

Vogts:
Ganz ein­fach: Auf dem Weg ins Volks­park­sta­dion hörten wir im Radio, dass Aus­tra­lien und Chile unent­schieden gespielt hatten. Wir waren also schon vor Anpfiff eine Runde weiter. Da stellten wir fest, dass uns als Grup­pen­erster drohte, mit Argen­ti­nien und Bra­si­lien in die Zwi­schen­runde zu kommen. Mit dieser Ein­stel­lung gingen wir ins Spiel.

11 Freunde:
Die Geschichte muss also neu geschrieben werden: Die BRD verlor in Ham­burg 1974 absicht­lich gegen die DDR!

Vogts:
So war es auch nicht. Wir haben in den ersten Minuten schon ziem­lich Druck gemacht. (lacht.) Aber in der Halb­zeit waren wir sehr relaxt. Und nach dem Spar­wasser-Tor in der 77. Minute war Franz Becken­bauer mehr damit beschäf­tigt das Publikum zu beschimpfen, als für den Aus­gleich zu arbeiten.

11 Freunde:
Warum war Becken­bauer so sauer?

Vogts:
Das Ham­burger Volkspar­sta­dion war immer ein Pro­blem für die Natio­nal­mann­schaft. Die Han­seaten sind sehr distan­ziert und kri­tisch. Was meinen Sie, warum in Ham­burg nach der Halb­fi­nal­nie­der­lage bei der EM 1988 fast 15 Jahre keine Län­der­spiele aus­ge­tragen wurden.

11 Freunde:
Der DFB sucht die Spiel­stätten also nach den Zuschau­er­re­ak­tionen aus?

Vogts:
Im Sinne aller Betei­ligten ist das auch richtig so. Durch das neue Sta­dion hat sich die Stim­mung in Ham­burg aber deut­lich gebes­sert.

11 Freunde:
Ist es für die Klins­mann-Truppe ein Vor­teil, dass die neuen Sta­dien mehr auf den Fuß­ball zuge­schnitten sind?

Vogts:
Auf jeden Fall. Aller­dings sehe ich ein anderes Pro­blem beim Regle­ment dieser WM.

11 Freunde:
Näm­lich?

Vogts:
Dass wir das Eröff­nungs­spiel machen müssen. Auf diesem Spiel lastet ein immenser Druck. Die Bra­si­lianer als Welt­meister können damit umgehen. Aber, ob es das uner­fah­rene deut­sche Team kann, weiß ich nicht.

11 Freunde:
Warum ist das Eröff­nungs­spiel so schwer?

Vogts:

Einer­seits, weil das welt­weite Medi­en­in­ter­esse, so unglaub­lich groß ist. Viel höher, als wenn man zwei Tage später ins Tur­nier ein­greift. Ande­rer­seits, weil die Schieds­richter neue Anwei­sungen haben und noch etwas unsi­cher pfeifen.

11 Freunde:
Wie unter­scheidet das Tur­nier 2006 von der WM 1974?

Vogts:
Damals war Deutsch­land geteilt. Heute müssen wir zeigen, wie gast­freund­lich wir auch als gesamt­deut­sche Ein­heit sind. Jeder Aus­länder muss das Gefühl bekommen, dass er hier will­kommen ist. Ich bin damals mit dem Zug zum Vor­run­den­spiel gegen Chile nach Berlin gefahren. Ich war 27 und sah zum ersten Mal die DDR – im Vor­bei­fahren.

11 Freunde:

Wie haben Sie die Zug­fahrt emp­funden?

Vogts:
Es war seltsam und beein­dru­ckend zugleich. Wir fuhren mit einem Son­derzug. Draußen winkten uns Leute zu, einer hielt seinen Hund hoch. Ich hatte das Gefühl, ich fahre durch Deutsch­land im Jahr 1918.

11 Freunde:
War 1974 der Beginn der Kom­mer­zia­li­sie­rung im Welt­fuß­ball?

Vogts:
Aus meiner Sicht als Spieler auf jeden Fall. Unsere Prämie war damals viel höher. 1970 haben wir für den dritten Platz 10000 Mark erhalten. 1974 erhielten wir ins­ge­samt 70000.

11 Freunde:
Aber erst nachdem Sie in Malente ordent­lich mit dem DFB gefeilscht hatten.
Vogts: (lacht.) Diese Situa­tion werde ich nie ver­gessen: OK-Prä­si­dent Neu­berger ließ uns durch Helmut Schön nach dem Abend­essen mit­teilen, was wir bekommen sollten: 25 000 Mark. Der ganze Kader brach in schal­lendes Gelächter aus. Wir haben Schön dann gebeten, den Raum zu ver­lassen, um zu beraten. Er stand auf und wollte abreisen. Er emp­fand es als Ver­trau­ens­bruch. Wir einigten uns auf 100 000 Mark als For­de­rung. Die Jungen, wie Paul Breitner und Uli Hoeneß, wollten sogar 150 000 Mark.

11 Freunde:

Wie ging das weiter?

Vogts:
Franz Becken­bauer und Günter Netzer haben mit Neu­berger tele­fo­niert. Dann wurde in Schritten von 10 000 Mark gezockt. Wir haben uns oben im Bespre­chungs­zimmer einen ein­ge­schenkt, wäh­rend wir auf die Reak­tion des DFB war­teten. Das ging bis 4 Uhr mor­gens. Neu­berger hat sogar ver­sucht, uns weich zu kochen, indem er ankün­digte, andere Spieler nach zu nomi­nieren. Vor dem Finale stellte sich raus, dass der DFB für den Gewinn des Titels 22 grüne VW Käfer Cabrios kriegen sollte. Die wollte der Ver­band für sich behalten. (lacht.) Da wurde am Don­nerstag vorm Finale dann noch mal ver­han­delt und jeder von uns bekam ein Auto oben drauf.

11 Freunde:
Wann waren Sie nach dem Finale 1974 im Bett?

Vogts:
Ich kam gegen halb nach Hause. (schmun­zelt.)

11 Freunde:
Wie exzessiv wurde da gefeiert?

Vogts:
Franz hatte einen Nacht­club für uns Spieler und die Frauen orga­ni­siert. Ich bin kein Schampus-Trinker, also gab es auch Whiskey, um wach zu bleiben.

11 Freunde:
Haben Sie es als Nach­teil emp­funden, dass Ihr Glad­ba­cher Kumpel Günter Netzer das ganze Tur­nier nur auf der Bank saß?

Vogts:
Ich fand es schade. Günter war zwar völlig außer Form zur WM ange­reist, aber im Ver­laufe des Tur­niers wurde er immer besser. Es wäre fair gewesen, wenn man ihm nach dem DDR-Spiel noch eine Chance gegeben hätte.

11 Freunde:
Die Geschichte besagt, dass Wolf­gang Ove­rath 1974 die bes­sere Alter­na­tive war.

Vogts:
Das ist in der Rück­schau der Jour­na­listen so. Aber die Medien haben auch mal geschrieben: Müller und Seeler können nicht zusammen stürmen.“ Die haben 1970 per­fekt har­mo­niert. Warum hätten Ove­rath und Netzer nicht koope­rieren sollen? Wenn man genü­gend Zeit zum Trai­ning hat und die Lauf­wege der beiden mit­ein­ander koor­di­niert – sie wären ein Traum­paar gewesen. Aber die man­gelnde Zeit ist bis heute das große Pro­blem der Natio­nal­mann­schaft – nicht nur der deut­schen.

11 Freunde:
Ist auch für Klins­mann die Zeit zu knapp, dass Team ein­zu­spielen?

Vogts:
Durch die Vor­ver­le­gung des Pokal­end­spiels hat Jürgen rund zwei­ein­halb Wochen mehr Vor­be­rei­tungs­zeit als ich bei der WM 1994 und 1998.

11 Freunde:
In dieser Zeit muss es ihm gelingen, dass Team zu koor­di­nieren.

Vogts:
Da kommt es auf jede Ein­heit an. Des­halb hoffe ich, dass die Natio­nal­mann­schaft ihr Trai­nings­lager im Mai auf Sar­di­nien zum Trai­nieren nutzt und nicht zur Rege­ne­ra­tion.

11 Freunde:
Aber die Saison war lang.

Vogts:
Deut­sche Fuß­baller brau­chen keine Rege­ne­ra­tion. Kein deut­scher Fuß­baller ist so über­säuert und über­müdet. Im Gegen­teil, wir trai­nieren zu wenig. Andere Sportler trai­nieren täg­lich sechs Stunden. Und als ich Coach in Lever­kusen war, wurde ich ange­me­ckert, weil ich einige Spieler zum indi­vi­du­ellen Nach­mit­tags­trai­ning lud. Die Jungs zahlen einen Haufen Geld dafür, ihren Schwung beim Golf­ab­schlag zu ver­bes­sern. Aber indi­vi­du­elles Trai­ning nach Fei­er­abend auf dem Fuß­ball­platz halten sie für eine Zumu­tung. Das ver­stehe ich nicht.

11 Freunde:
Wie kann das sein?

Vogts:
In den Ver­einen reden zuviel mit: Berater gehen zu den Geschäfts­füh­rern und Mana­gern und beschweren sich. Sowas gibt es in Eng­land nicht: Da ist der Trainer Coach und Manager in Per­so­nal­union und bestimmt, wer einen neuen Ver­trag bekommt.

11 Freunde:
Zurück zur WM. Wie war 1974 die Kame­rad­schaft zwi­schen dem Block der Bayern und den Glad­ba­cher Spie­lern?

Vogts:
Im Großen und Ganzen haben wir uns sehr gut ver­standen. Auch, wenn ich mit Paul Breitner im ganzen Tur­nier nicht viel mehr als drei Sätze gespro­chen habe.

11 Freunde:
Warum nicht?

Vogts:
Wir waren poli­tisch nicht immer der­selben Mei­nung. (lacht.)

11 Freunde:
Das heißt, unter Fuß­bal­lern wurde damals tat­säch­lich über poli­ti­sche Dinge dis­ku­tiert.

Vogts:
Wir waren in der Sport­schule Malente von der GSG 9 bewacht. Jeden Tag tru­delte eine anonyme Bom­ben­dro­hung ein. Unsere pri­vaten Briefe wurden in einer sepa­raten Turn­halle von einer Spe­zi­al­ein­heit geöffnet. Da redet man schon mal über die Beweg­gründe von Ter­ro­risten.

11 Freunde:
Was war das Schlimmste an Malente?

Vogts:
Dass es nur ein Telefon gab. Wir mussten uns in eine Liste ein­tragen, wenn wir tele­fo­nieren wollten. Und wenn man das Pech hatte, hinter Wolf­gang Ove­rath in der Reihe zu stehen, trat man sich die Beine in den Bauch.

11 Freunde:
Trotz der Bewa­chung durch die GSG9 haben es Spieler geschafft, nachts auf die Ree­per­bahn aus­zu­büchsen. Wie das?

Vogts:
Ein guter Fri­seur wirkt manchmal Wunder. Die deut­schen Natio­nal­spieler waren schon immer sehr phan­ta­sie­voll und, soweit ich das beur­teilen kann, hat keiner jemals auf­grund von Sport­schulen oder Bewa­chung auf irgend­etwas ver­zichtet.

11 Freunde:
War es ein Vor­teil für den Team­geist, dass sie in Malente so auf­ein­ander gluckten?

Vogts:
Wir kannten es damals nicht anders. Als ich die Natio­nal­mann­schaft 1992 erst­mals zu einem großen Tur­nier führte, gingen wir vorher in eine Sport­schule. Aber mir wurde klar, dass der neuen Gene­ra­tion so ein Klima nicht mehr ver­mit­telbar war. Die waren aus ihren Ver­einen an Hotels gewöhnt. Sie in einer Sport­schule zum Team zusammen zu schweißen, war nicht mehr mög­lich.

11 Freunde:
Herr Vogts, was haben sie als Trainer von Helmut Schön gelernt?

Vogts:
Das Ver­trauen in die Men­schen. Jeder Spieler ist ein Mensch, dem man Schwä­chen zuge­stehen muss. Nur wenn man das weiß, wird man von Spie­lern nicht ent­täuscht.

11 Freunde:
Wäre ein Mann wie Helmut Schön heute in der Rolle des Bun­des­trai­ners noch vor­stellbar?

Vogts:
In den Umgang mit den Medien muss man hinein wachsen. Helmut Schön war ein hoch­in­tel­li­genter Mann, er wäre in der Lage, sich der heu­tigen Situa­tion anzu­passen. Aber er würde kein Medi­en­trainer sein, dafür war er ein zu distan­zierter Mensch.

11 Freunde:
Wo erkennen Sie bei Jürgen Klins­mann Ihre Trai­ner­hand­schrift?

Vogts:

Er hat den Willen, mehr mit den Spie­lern zu machen, als die Ver­eine ihnen mit­geben. Und er ist bereit, Ver­trauen in die Spieler zu setzen.

11 Freunde:
Wie hat sich die Medi­en­prä­senz im Ver­laufe der Jahre ver­än­dert?

Vogts:
1974 hatten wir eine Kamera beim Trai­ning. 1990 wurde Franz Becken­bauer schon sauer, weil RTL und SAT 1 neben ARD und ZDF zusätz­lich für das Früh­stücks­fern­sehen berich­teten. 1994 war das längst üblich und ich hatte es täg­lich mit 400 Jour­na­listen zu tun. Gerade Rein­hold Beck­mann und Johannes B. Kerner, die damals noch bei Sat 1 arbei­teten, atta­ckierten die Natio­nal­mann­schaft in täg­li­chen Berichten. Und heute sind das die Schön­redner bei ARD und ZDF.

11 Freunde:
Über Ihrer Kar­riere als Trainer hing ein Satz wie ein Damo­kles-Schwert. Franz Becken­bauers Aus­sage nach dem Titel­ge­winn 1990: Die deut­sche Mann­schaft wird auf Jahre hin unschlagbar sein“.

Vogts:
Franz war im Zustand der Glück­se­lig­keit, als er das sagte. Das ging mir sonstwo vorbei. Er kam unmit­telbar nach dem Inter­view in den Mann­schaftsbus und sagte: Berti, ich hab gerade ziem­li­chen Scheiß erzählt.“ Aber so ist er: Heute erzählt er dies und morgen das genaue Gegen­teil. Wir haben schon zusammen in der Jugend­aus­wahl gespielt. Ich weiß ihn zu nehmen.

11 Freunde:
Würden Sie heute noch Bun­des­trainer sein, wenn die Medien damals anders mit Ihnen umge­gangen wären?

Vogts:
Mit meiner heu­tigen Erfah­rung, könnte das gut sein. Aber die Angriffe der Medien waren nur der Tropfen, der das Fass zum Über­laufen brachte.

11 Freunde:
Warum sind Sie sonst zurück­ge­treten?

Vogts:

Wegen des Kon­flikts mit DFB-Prä­si­dent Mayer-Vor­felder. Nach dem EM-Titel 1996 bin ich beim Ver­band in die Offen­sive gegangen und habe gefor­dert, dass wir mehr Geld in den Nach­wuchs inves­tieren müssen. Ich wollte, dass der DFB 21 Trainer in den Lan­des­ver­bänden ein­setzt, die nach meinen Vor­gaben Nach­wuchs­ar­beit betreiben. Aber man hat mich nicht ernst genommen. Erst nach dem Aus bei der WM 1998 fand dann langsam ein Umdenken statt.

11 Freunde:

Das Jahr, in dem Sie zurück­traten.

Vogts:
Denn nach der WM 1998 wurde mir von einer großen deut­schen Zei­tung mit­ge­teilt, dass sie die Natio­nal­mann­schaft so lange atta­ckieren würde, wie ich Trainer bliebe.

11 Freunde:
Welche Fehler haben Sie in dieser Zeit gemacht?

Vogts:
Ich hätte die Medien mehr nutzen müssen, um den Zustand des deut­schen Fuß­ball­nach­wuchs zu bemän­geln. Aber ich war dem Ver­band gegen­über zu loyal.

11 Freunde:
Hat Jürgen Klins­mann mehr Mut gehabt als Sie?

Vogts:
Jürgen hat den Vor­teil, dass ich ihm vorab viele Tipps geben konnte, wie Fehler er in der Zusam­men­ar­beit mit dem DFB ver­meidet.

11 Freunde:
Hat er Sie kon­kret danach gefragt?

Vogts:
Ich war 2004 mit meinem Sohn in Kali­for­nien im Urlaub. Bei einem Besuch in Los Angeles erzählte mir Jürgen, dass Karl Heinz Rum­me­nigge ihn als Manager der Natio­nal­mann­schaft ins Gespräch gebracht hätte. Ich wusste von gar nichts. Jürgen sagte, er könne sich beim DFB nur den Trai­nerjob vor­stellen. Ich war über­raschte. Dann haben wir eine Nacht lang gequatscht. Seine Ideen gefielen mir und ich habe ihn tags drauf guten Gewis­sens als Trainer beim DFB vor­schlagen.

11 Freunde:

Bei der WM machen Sie für den DFB Spiel­ana­lysen. Kann es sein, dass sie noch ein biss­chen die Fäden im Hin­ter­grund ziehen?

Vogts:
Nein. Jürgen ist erfahren genug, selbst zu wissen, wie er das Team führt.

11 Freunde:

Finden Sie, dass er den Job gut macht?

Vogts:
Ich bewun­dere seinen Mut, die Natio­nal­mann­schaft zu diesem schwie­rigen Zeit­punkt zu über­nehmen. Ottmar Hitz­feld, Arsene Wenger oder Guus Hiddink hatten alle abge­lehnt. Er weiß, dass er nicht so viele Top-Spieler hat. Aber er geht seinen Weg mit aller Kon­se­quenz. Dafür hat er meinen ganzen Respekt.

11 Freunde:
Sie haben als Trainer oft auf alte Spieler gesetzt oder setzen müssen. Zum Bei­spiel bei der umstrit­tenen Rück­hol­ak­tion von Lothar Mat­thäus vor der WM 1998. Hatten Sie Angst vor der radi­kalen Ver­jün­gung, wie Klins­mann sie voll­zieht?

Vogts:
Als wir 1998 im Vier­tel­fi­nale aus­ge­schieden sind, war es ein Desaster. Wenn die Mann­schaft 2006 das Vier­tel­fi­nale erreicht, wird wohl ein eigener Fei­ertag für diesen Erfolg ein­ge­richtet. (lacht.) Spaß bei­seite. Damals gab es nicht so viele inter­es­sante, junge Spieler: Durch den Aus­fall von Jens Nowotny vor der WM musste ich Thomas Helmer, Olaf Thon und Lothar Mat­thäus zurück­holen. Thon und Helmer waren nicht fit genug, ein Tur­nier durch zu spielen. Also habe ich mich beim Mann­schaftsrat durch gesetzt und Lothar zurück geholt. Ich habe an den Rat appel­liert, ihn als Außen­seiter zu inte­grieren. Leider blieb er die ganze Zeit am Rande der Gruppe.

11 Freunde:
Fehlte der Mann­schaft von 1994 und 1998 der abso­lute Erfolgs­willen, den Sie 1974 hatten?

Vogts:

1994 haben drei Frauen das Team durch­ein­ander gebracht und damit den Erfolg zunichte gemacht.

11 Freunde:

Sie spre­chen von Mar­tina Effen­berg, Bianca Ill­gner und Angela Häßler.

Vogts:
Die Namen haben Sie genannt. Aber richtig ist, dass einige Damen die WM-Mann­schaft völlig durch­ein­ander brachten. Dabei hatten wir 1994 einen bes­seren Kader als vier Jahre vorher. Mit Mat­thias Sammer, Ulf Kirsten und Stefan Effen­berg war das WM-Team um sehr gute Spieler ergänzt worden.

11 Freunde:
Wie konnten drei Frauen soviel Unheil anrichten?

Vogts:
In Absprache mit dem Mann­schaftsrat hatten wir ver­ein­bart, dass die Spie­ler­frauen in einem Traum­hotel in der Nähe unter­ge­bracht wurden und nach Spielen unseres Teams für eine Nacht im Mann­schafts­hotel schlafen durften. Aber einige Frauen ver­langten sogar, ins Mann­schafts­hotel ein zu ziehen. Das habe ich unter­sagt. Dadurch waren betref­fende Spieler gedank­lich mehr bei den Frauen als bei der Mann­schaft.

11 Freunde:
Inso­fern hatte die frü­here Rege­lung des DFB doch einen Sinn, Spie­ler­frauen im Lager des Teams nicht zu dulden. Warum wurde das geän­dert?

Vogts:
Franz Becken­bauer war 1990 ver­liebt. Er wollte so oft wie mög­lich mit seiner dama­ligen Freundin Sybille zusammen sein. Also hat er dafür gesorgt, dass die Frauen leichter Zugang zum Team erhielten. (lacht.)

11 Freunde:
Was ist das größte Pro­blem für ein Team im Ver­laufe eines WM-Tur­niers?
Vogts: Die Spieler müssen sich wohl fühlen. Reiz­punkte dürfen nur beim Trai­ning auf­kommen, nicht in der Frei­zeit. Des­halb hängt auch so viel vom ersten Spiel ab – gerade beim jungen Team von Jürgen Klins­mann. Wenn wir Costa Rica mit 5:0 aus dem Sta­dion schießen, besteht die Mög­lich­keit, dass die Mann­schaft von einer Wolke der Begeis­te­rung durchs Tur­nier getragen wird. Spielen wir 0:0 oder Jens Leh­mann macht einen dicken Fehler – was meinen Sie, wie die Mann­schaft dann unter Beschuss gerät. Gerade junge Spieler ver­lieren bei einer men­talen Blo­ckade bis zu 40 Pro­zent ihrer Leis­tungs­fä­hig­keit.

11 Freunde:
1970 waren Sie auch ein junger Spieler?

Vogts:
Ja, aber der Umgang von Medien und Fuß­bal­lern war ganz anders. Damals schrieb ein Jour­na­list eine schlechte Kritik nach unserem 2:1 gegen Marokko. Der hatte das Pech, bei uns im Hotel zu über­nachten. Als er dann im Swim­ming Pool auf­kreuzte, wurde er kurz für einige Sekunden unter Wasser gedrückt. Heute würde man für so was eine Anzeige kas­sieren.

11 Freunde:
Stich­wort: 1970. Ahnten Sie wäh­rend des Halb­fi­nals gegen Ita­lien, was für eine Bedeu­tung dieses Spiel später einmal haben sollte?
Vogts: Nein. Damals waren man durch die Höhen­lage und die Erschöp­fung wie in Trance. Das Tur­nier in Mexiko war für das Team auch durch die Orga­ni­sa­tion ein ziem­li­cher Stress.

11 Freunde:
Trotz der gene­ral­stabs­mä­ßigen Pla­nung durch den DFB?

Vogts:
Das war damals noch anders. Nach dem Vier­tel­fi­nale gegen Eng­land in Leon sind wir sechs Stunden mit dem Bus nach Mexiko City gefahren. Da hatte der Ver­band uns ein Hotel gebucht, was ein­ein­halb Stunden vom Sta­dion ent­fernt lag. Allein durch die Fahrt waren wir so geschlaucht, dass wir gegen Ita­lien schon eini­ger­maßen geschafft auf­liefen.

11 Freunde:

Können Sie sich noch erin­nern, was Ihnen beim Schluss­pfiff gegen Ita­lien 1970 durch den Kopf ging?

Vogts:
Nichts. Ich war ein­fach nur kaputt.

11 Freunde:
Ent­täu­schung über die Nie­der­lage?

Vogts:
Nein. Wir waren nur leer.

11 Freunde:
Herr Vogts, was war das schönste Sport­er­eignis Ihres Lebens?

Vogts:
Als Trainer mit der Olym­pia­mann­schaft 1984 nach Los Angeles zu fahren. Es war groß­artig, im olym­pi­schen Dorf mit so vielen Sport­lern zusammen zu sein.

11 Freunde:
Hatten Sie nach dem WM-Tri­umph jemals ein Gefühl abso­luter Glück­se­lig­keit?

Vogts:
Nein.

11 Freunde:
Warum nicht?

Vogts:

Weil ich ein Spieler mit sehr wenig Talent war und des­halb bei jedem Erfolg wusste, dass am nächsten Morgen die Arbeit wei­ter­geht. Ich besaß eine ordent­liche Posi­ti­ons­technik, die für eine Nummer 2 aus­rei­chend war. Aber ich musste für den Erfolg ständig hart arbeiten.

11 Freunde:
Könnte die deut­sche Mann­schaft einen Ter­rier von Ihrer Qua­lität brau­chen?

Vogts:
Sagen wir so, wenn bei der WM vier Leute von meinem Format in der Abwehr stehen würden, sähe ich der WM wesent­lich beru­higter ent­gegen.

11 Freunde:

Wann kommen Sie als Trainer zurück?

Vogts:
Da müssen viele Dinge passen: Ich über­nehme keinen Club, bei dem die Vor­gabe lautet, einen Titel zu gewinnen. Es muss eine Stra­tegie hinter meiner Ver­pflich­tung stehen. Und das ist in Deutsch­land nicht mög­lich.

11 Freunde:
Wieso nicht?

Vogts:
Weil die Ver­eins­prä­si­denten hier­zu­lande Fuß­ball-Fans sind und keine Fach­leute. Fans leben zu sehr mit den Emo­tionen und lassen sich in schlechten Phasen schnell von der all­ge­meinen Stim­mung gegen den Trainer auf­bringen. Ein Prä­si­dent, der ein Fach­mann ist, hat eine Vision für den Verein und stellt sich auch in der Krise hinter den Trainer. Ich arbeite mit keinem, der sich als eitler Über­vater zele­briert – immer dann, wenn die Mann­schaft gewinnt. Und der, wenn sie ver­liert, anderen die Schuld gibt.

Aus: 11 FREUNDE #55 – seit 24.06. am Kiosk erhält­lich!

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Mittie Cheatwood

Update: 2024-11-02