Die Verwandlung - Wie ich zum Werder-Honk wurde 11FREUNDE

Ich ging als einigermaßen intelligenter Mensch ins letzte Wochenende. Doch ohne über die Maßen zu saufen oder 48 Stunden am Stück „9live“ zu gucken, verlor ich dramatisch an Grips. Und das kam ungefähr so: Am Samstag traf der Hamburger SV auf den FC Bayern München, es war das Spitzenspiel des 7. Spieltags. Ich plante, live im Internet davon zu berichten und kündigte das auch so an. Doch für einen Leser war ich der falsche Mann für diese Aufgabe: „Wieso Gieselmann?“, krakeelte er. „Wat hat der Werder-Honk beim HSV-Spiel zu suchen?“
Ich las das drei Mal. Die Vorsilbe „Werder“ akzeptierte ich, kein Problem. Ich bin Fan seit 25 Jahren und habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Aber was genau ist ein „Honk“?
Mir schwante nichts Gutes. Ich schlug das Wort nach und musste feststellen: „Honk“ ist die Abkürzung für „Hauptschüler ohne nennenswerte Kenntnisse“.
Ein Schock! Schweiß rann über meine Stirn, Selbstzweifel begannen, an mir zu nagen. Hatte der Mann etwa Recht? Hastig wühlte ich nach meinem Abiturzeugnis, um mich daran festzuhalten. Lauter Sechsen! Durchgefallen! Wo war mein Arbeitsvertrag? Verblasst und ausradiert! Wissen, das ich zuvor noch sicher hatte, verflüchtigte sich. Ein Spiel dauert… wie lange? 70 Minuten? 30? Zwei? Ich wusste es nicht mehr! Abseits ist, wenn der Schiedsrichter… keift? … schleift? …seift? Weg! Gelöscht! An allen Ecken begann es zu bröckeln. Der Ball ist… bunt? Wer ist Beckenbauer? Wie viele Freunde müsst Ihr sein?
Nun wurde mir klar: Ich war tatsächlich ein „Honk“. Damit stand ich in der Hierarchie der Straße nun weit unter „Sido“, dem „super-intelligenten Drogenopfer“.
„Ey, da kommt Honk!“, riefen die Kollegen auf dem Flur und wiesen mir niedere Aufgaben zu. Kopieren. Kaffee kochen. Blätter lochen. „Ciao, Honk!“, flötete meine Freundin und rauschte im Cabrio eines smarten Akademikers der Sonne entgegen. „Ich verstoße dich, Honk!“, donnerte mein Vater und streichelte seinem neuen Strebersohn den blond schimmernden Scheitel. Als „Honk“ traute ich mich nicht mehr, über Fußball zu berichten, nicht über den HSV, nicht über die Bayern und nicht einmal mehr über Werder. Vielleicht nehmen sie mich dort als Laufburschen, dachte ich. Ich könnte Thomas Schaaf die Tasche tragen! Auf seinem Trainingsanzug stünde „Coach“, auf meinem „Honk“. Ich wäre tatsächlich der „Werder-Honk“. Und diesmal der richtige Mann für diese Aufgabe. Immerhin.
„Aufwachen, Honk!“, knarzte Thomas Schaaf plötzlich, als ich gerade seine Tasche vom Trainingsplatz in die Kabine trug. Aufwachen? Jetzt? Aber ich schlafe ja gar nicht, Coach! ich trage Ihre Tasche! Doch wieder fuhr er mich an: „Aufwachen!“
Ich schreckte hoch. Um mich herum schmunzelnde Kollegen. Oh, schon kurz vor halb sieben! Gleich würde HSV-Bayern beginnen. Ich horchte in mich hinein: Ein Spiel dauert… 90 Minuten! Abseits ist, wenn der Schiedsrichter… pfeift! Und: der Ball ist… rund! Alles heil. Hurra! Das Spiel konnte beginnen. Live aus Hamburg: Der Werder-Honk.
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